Sonntag, 13. November 2016

Die Portraits - Kenotaphe für die Ewigkeit


Ein grauer Wintermorgen. Reif liegt auf den Sträuchern vor dem alten Backsteinhaus mit dem runden Turm, krächzende Raben fliegen um den qualmenden Schornstein. Die Welt versinkt im Eis und schläft ihren seligen Schlaf. Niemand sollte  an solch einem kalten, tristen Tag länger als nötig vor die Tür gehen. 
Doch in dem alten Backsteinhaus auf dem Hügel am Rande des Dorfes regt sich Leben. Dort lebt seit jeher die Hexe.  Sie pflückt in ihrem Garten die letzten, zu Eisskulpturen erstarrten, schwarzen, trockenen Rosen vom Strauch. Mit einem schwarzen Schultertuch, einem bodenlangen schwarzen Kleid bekleidet, kniet sie vor dem Strauch, während sie bedächtig jede Rose einzeln zärtlich in ihre Hand nimmt. Ihr Atem bildet Nebelwölkchen in der kalten Natur.
Schwarze Rosen, die Symbole der Vergänglichkeit und Schönheit, rankten schon immer vor ihrem Haus, als wollten sie die Hexe und ihr Heim schützen. Das Haus gleicht einer Festung, die das Dorf überstrahlt und überwacht, indem es fest und unerschütterlich über ihm empor ragt.
Die Hexe haust dort abgeschottet und allein. Nur die Fotos an den Wänden ihres Hauses leisten ihr Gesellschaft. Schwarz-weiße Portraitfotografien schauen auf sie herab, wo auch immer sie sich im Haus bewegt. Aber nicht nur Fotografien hängen an den Wänden, sondern auch lang vergilbte Erinnerungen, Blicke und Emotionen. Niemand wird je davon erfahren, wie all diese Portraits der unterschiedlichsten Menschen einen Platz an ihren Wänden fanden. Nur die Fragen bleiben. Die Fragen nach den Leuten, die in all den Jahren aus dem Dorf verschwanden und nie wiederkehrten. Wie der nette Herr, der in der vergangenen Woche noch auf dem Markt stand, um Gemüse zu kaufen. Seitdem ward er nicht mehr gesehen.

„Steh still, Geliebter. Posiere für mich. Für die Ewigkeit. Ja, lächle. Lächle zu mir. So ist´s gut.“




An manchen Tagen konnte man beobachten, wie sich einzelne Personen auf den Weg hinauf auf den Hügel zu dem alten Backsteinhaus der Hexe machten. Niemand verfolgte genauer, warum sie dort hinauf liefen. 
An anderen Tagen kam es vor, dass die Hexe plötzlich im Dorf auftauchte. Sie stand in den Straßen und beobachtete ihre Umgebung.
Einmal war auch ich der Hexe im Dorf begegnet. Ihre Augen durchbohrten und verfolgten mich. Graue Augen, leuchtend hell, wie die eines Tieres, die des Nachts von Autoscheinwerfern angestrahlt werden. Ihr Blick war unheimlich. So unheimlich, dass man nicht anders konnte, als ihm standzuhalten, sich von ihm leiten und verführen zu lassen. Sie schien der Abgrund in persona zu sein, den alle Menschen gemeinhin fürchten. Der Abgrund des Verlangens, sich in die Arme des Todes fallen zu lassen, wie in einen tiefen, schwarzen, nie enden wollenden Abhang.
Auch ich bin ihrem Blick erlegen. Zu stark war der Sog, den er auf mich ausübte. Ich stieg, es war im Sommer, ich weiß es noch wie heute, den steilen Hügel hinauf. Ich hatte keinen wirklichen Grund, zur Hexe hinaufzugehen. Weder waren wir verabredet, noch musste ich Erledigungen für sie tätigen. Einzig meine Neugierde nach dem Ungewissen, Dunklen trieb mich an.
Vorbei an Dornensträuchern voller blühender rosa-weißer Rosen, deren tiefere und zugleich abstoßend wahnwitzige Bedeutung mir erst viel später bewusst wurden, die den gesamten Weg hinauf zu ihrem Haus zäumten, als wäre dies ein Labyrinth, welches man erst einmal durchqueren muss, um zu ihr zu gelangen. Immer wieder kratzten meine Beine an den Dornen entlang, die sich nach mir auszustrecken schienen, um mich greifen und verschlingen zu wollen. Es schien mir damals, als läge eine geheime Macht auf dem gesamten Hügel, die mich trotz der Schwierigkeiten, den Weg zu beschreiten, zu ihr zog.
Doch was tat ich bloß? Nun, hier hinter Glas, kann ich sehen, was geschehen ist. Spinnen krabbeln an mir herauf und umspinnen mich und ihr Geheimnis, das sie um all ihre Portraits gesponnen hat. Ich sehe die anderen Fotos und ich weiß, wohin die Menschen verschwunden sind. Sie sind hier. Um mich herum. Starr und still hängen sie an den Wänden.


 

„Steh still, Geliebter. Posiere für mich. Für die Ewigkeit. Ja, lächle. Lächle zu mir. So ist´s gut.“

Ich weiß, was mit dem netten Mann geschah, der vor ein paar Stunden an diesem kalten Wintermorgen aus unserem Dorf verschwand. Er hängt zwischen den Spinnweben, die die Vergangenheit zeichnen. Er kam in ihr Haus, er sah in ihre Augen und auch er konnte ihr nicht widerstehen. Ich erinnere mich, er war nett zu mir, er grüßte mich, als wir uns vor langer Zeit auf der Straße begegneten. Immer lächelte er, pfiff ein Lied oder sang vor sich hin. Doch nun starrt sein lebloser Blick mich an. In seinen Augen ein ermatteter Glanz, der einst leuchtete. Er lächelt noch immer. Gefangen hinter Glas.

Sie hat ihm schöne Augen gemacht, damals schon, bis er heute morgen seiner Erinnerung an ihr Antlitz folgte, den Dornenweg der längst verblühten Rosen entlang, an ihren großen Tisch ins Esszimmer, umgeben von Fotos und Büchern. Schwere Bücher über das Leben, die Liebe, den Tod. Er sah sie an, sie sah ihn an. Eine ganze Weile ging das so. Er war entzückt von ihr. Berauscht, bevor sie ihn berauschen konnte mit dem purpurnen Wein, der im Kelch vor ihm stand. Er trank daraus und sie wurde noch schöner für ihn. Sie umschmeichelte ihn mit freundlichen Worten. Wieder und wieder. Er, allein wie sie, glaubte, sie gefunden zu haben. Selbst wenn es nur für diesen einen Tag war. Ein Tag für die Erinnerung, süß und voll Lebendigkeit.

„Steh still, Geliebter. Posiere für mich. Für die Ewigkeit. Ja, lächle. Lächle zu mir. So ist´s gut.“

Sie nahm ihn bei seiner Hand und führte ihn vor die mit schwarzem Stoff behangene Wand. Ihr Hintergrund, der alles sieht, alles aufnimmt und die Blitze zurücksendet, die sie aussendet.
Er strich sich über sein Haar, stellte sich in Position, so wie sie ihn anwies es zu tun und lächelte. Für sie und für das, was danach kam. Sie brachte ihren Daumen auf dem Auslöser in Position, während ihr Blick ihn zu durchbohren schien. Dann verschwand sie unter dem Tuch, das das Licht abhält und die Außenwelt abschottet. Sie sah ihn, verkehrt herum. Elegant in seinem Anzug stand er vor ihr, ein feiner Herr, gebildet, beliebt. Vielleicht wäre er ein toller Ehemann und Vater geworden, mit einer Ehefrau so mild und lieb. Doch dieses Vielleicht wird für immer eine Ahnung, ein Wunsch, ein Traum bleiben, denn dieses Vielleicht sollte das Leben danach nie erreichen. 
Ein Blitz zuckte auf, grelles Licht blendete seine Augen. Er sah nichts, Schmerz durchfuhr seine Augäpfel. Ein Schrei erklang aus seinem Mund, während er taumelnd zu Boden sank und dabei die schwarzen Rosen mit sich riss, die auf dem kleinen Tisch in einer Vase neben ihm standen und heute morgen von ihr gepflückt worden waren. Er brach zusammen, bedeckt mit hunderten schwarzen Rosenblättern.

Ja, jedes Foto in diesem Haus ist ein Kenotaph, geschaffen von ihr, der Hexe. Wer in das Licht des Blitzes sieht, wird für immer ihr gehören. Alles, was sie dafür braucht, ist ein Lächeln des Menschen, der sein Leben für sie gibt, dann, wenn er am hellsten strahlt und als Letztes ein abschließender Blick von ihr in die Seele dieses Menschen.

„Steh still, Geliebter. Posiere für mich. Für die Ewigkeit. Ja, lächle. Lächle zu mir. So ist´s gut.“

Mit jedem Betätigen des Auslösers ihrer Kamera nimmt sie einen Menschen mit in die ewige Verdammnis, ihre Verdammnis, dessen Verdammnis. Der Mensch, das Objekt ihrer Obsession, wird hängen. An einer ihrer meterhohen Wände, eingezwängt in flache Rahmen. Formlos, leblos.
Sie, die Hexe, verbannt aus der Unterwelt in die Welt der Lebendigkeit. Eine Welt, die ihr so fremd ist und doch so schillernd und erstrebenswert erscheint. Sie begreift diese Welt nicht, doch sie mag das Lachen, die Trauer, die Entrüstung und all die anderen Emotionen, die sie an den Körpern und Gesichtern der sie umgebenden Menschen ablesen kann. Sie möchte sie in sich aufnehmen, spiegeln, sich in ihnen baden und für immer in sich bewahren. Doch ihr Blick allein reicht dafür nicht aus. Sie benötigt einen Konservator. Diesen Konservator hat sie in ihrer Kamera gefunden. Sie fängt die menschliche Gestalt ein und presst sie auf beschichtete Glasplatten. Dann zieht sie sich zurück, in ihre Dunkelkammer und erweckt das Antlitz ihres Objektes auf Papier wieder zum Leben. Ein Leben, das nie gelebt, sondern still erduldet wird, während die menschliche Hülle im angrenzenden, verwitterten und ungenutzten Wartturm ihrer Verwesung entgegenstrebt. 
Wer versucht, der Hexe zu entkommen, wird nie eine Chance haben. Sie hat die Menschen schon zu ihren Objekten erkoren, als diese noch nicht einmal ahnten, dass sie es je sein werden. Sie sperrt sie in die Kerker ihres Blickes, der versteinert, kalt und feucht ist. Ihr Blick ist zum Gefängnis geworden, aus dem es kein Entrinnen gibt.
Jedoch wird niemand je in ihrem Blick die Menschen finden, die aus unserem Dorf verschwanden.

Sie kam aus dem Nirgendwo in unser Dorf, sie wird in das Nirgendwo verschwinden, dann, wenn sie vollgesogen ist von den Seelen der Menschen, die ihr am attraktivsten erschienen, um sie mit in ihre Welt zu nehmen.

Und ich? Ich habe alles selbst erlebt. Auch ich saß an dem großen Tisch, auch ich wurde berauscht. Nicht mit Wein, aber mit Geschichten, die sie wunderbar zu erzählen verstand. Berauscht von ihrer Gestalt war ich schon längst. Sie wusste das. Sie wusste auch, dass mir das Leben einst teuer war. Dass ich ein friedliebender Mensch gewesen bin und nie einer Fliege hätte etwas zu Leide tun können. Dass ich Ungerechtigkeit und Strafe nicht ertrug und mir schon manche Träne entrann, wenn ich Zeuge von Boshaftigkeiten wurde.
Nun hänge ich für immer an dieser Wand, ihr Geheimnis bewahrend. Das Geheimnis des Mannes, der an diesem kalten Wintermorgen zu ihr heraufkam und dieses Haus nie wieder verließ. Und ebenso all der anderen Personen, deren Portraits mich umgeben.
Ich werde auch dann noch hängen, wenn sie schon längst nicht mehr unter uns weilt, denn ich bin zur längst vergangenen Ewigkeit geworden.

Mittwoch, 15. Juni 2016

Vom Menschen der schönen Worte und seinem Schloss

Es gibt Menschen, die können wunderbar erzählen, erklären und andere Menschen mit schönen Worten umgeben.
Man glaubt ihnen. Den Worten und den Menschen. Die Menschen hinterfragen die Erzählungen nicht, weil sie so schön, so perfekt sind. Die Welt scheint sorglos zu sein, so, wie man sie sich immer erträumt hat. Alles scheint machbar. Schwierigkeiten oder Hürden des normalen Lebens existieren nicht.
Dann werden Pläne für die Zukunft geschmiedet. Große Pläne. Pläne mit einem Ziel. Das Ziel verheißt Glück, Erfolg und Geld. Die Menschen der schönen Worte erbauen im Geiste die schönsten Schlösser.
All die Erzählungen und Pläne des Menschen der schönen Worte klingen so wunderbar.

Und dann gibt es die Menschen, die sagen, das geht so nicht. Plötzlich gibt es Hürden, Schwierigkeiten, keine netten Worte. Das Leben ist bei diesen Menschen gewöhnlich. Manchmal trist, schwarz-grau, fad. Warum soll man ihnen glauben? Sie sind die Miesmacher.
Sie sagen, dass das erdachte Schloss mit dem Plan des Menschen der schönen Worte nicht fertig wird. Der Plan ist zu unrealistisch, zu groß gedacht, zu klein der Mensch, der ihn umsetzen will.
Man glaubt diesen Menschen nicht. Warum soll man sich die heile Welt von ihnen zerstören lassen?

Die Zeit vergeht, das Schloss hat ein gutes Fundament. Der Gedanke ist das Fundament. Ein großer Gedanke für ein großes Schloss.
Der Mensch mit den schönen Worten sucht nach dem richtigen Baustil, dem angemessenen Preis, dem besten Architekten, den geeignetsten Maurern, Tischlern und Glasern.
Der Architekt sagt: Das können wir so bauen, aber es wird instabil sein. Das Schloss hat einen zu hohen Turm. Der wird keinem scharfen Wind trotzen.
Der Maurer sagt: Die Steine können wir so anfertigen, sie werden aber zu schwer sein, um sie mit der geforderen Anzahl an Maurern zu setzen. Wir benötigen mehr Personal. Und das verursacht höhere Kosten.
Der Tischler meint: Es tut mir Leid, aber das geforderte Holz können wir nicht verarbeiten. Für einen Tisch benötigen Sie härteres Holz, dieses ist zu weich.
...
Und so schreiten die Einwände der Miesmacher fort. Doch der Mensch der schönen Worte besteht auf sein Schloss. Der Turm wird schon nicht umfallen, man kann ihn außerhalb mit Drahtseilen stützen. Mehr Maurer werden nicht benötigt, er wird selbst die Maurerkelle schwingen, das spart Kosten. Ganz unmöglich ist es, dass ein Tisch nicht halten wird. Soetwas hat er ja noch nie gehört. Natürlich wird der Tisch halten, es ist ja seiner.
Die Einwände werden beiseite geschoben, mal mit einem milden Lächeln, aber wenn sie allzu groß und bedenklich werden, gar mit einem groben Wort.
Hier, so sagt der Mensch der schönen Worte, wird alles so gemacht, wie ich es wünsche.  Es wird schließlich mein Schloss, das perfekte Schloss.

Wenig später verkündet er in seiner Stadt, dass er das tollste und prächtigste Schloss bauen wird, das es je im Land gab. Alle Einwohner seiner Stadt sind zur Einweihung eingeladen. Er freue sich auf die künftigen Aufgaben, die ein Schlossbesitzer zu erfüllen hat. Er wird Audienzen halten, Soireen veranstalten und Gäste aus allen Teilen des Landes willkommen heißen. Er dankt dem Volk für dessen Erscheinen, denn er ist frohen Mutes, dass das Volk ihn bei seinem Bauvorhaben kräftig unterstützen wird.

Der Architekt, der Maurer und der Tischler denken: gut, er möchte sein Schloss nach seinen Vorlagen gebaut wissen, so bauen wir es ihm.
Die Zeit verging, das Schloss wurde errichtet. Der Mensch der schönen Worte half bei der Erbauung mit. Er legte Stein auf Stein, bekleckerte sich mit Mörtel, der zu flüssig gemischt worden war. Die Steine begannen zu verrutschen, bevor der Mörtel trocknen konnte. Der Mensch der schönen Worte fluchte. Wie könne man es wagen, ihm solch einen Schund anzudrehen. Man hätte ihm sagen müssen, dass der Mörtel ungeeignet wäre, er hätte anderen bestellen lassen. 
Der Maurer meinte daraufhin: aber aber, mein Herr, Sie haben den Mörtel selbst angerührt. Es liegt daran, dass Sie zuviel Flüssigkeit nahmen.
Ich nehme nie zuviel Flüssigkeit, meinte der Mann der schönen Worte und entließ den Maurer. Er wollte das Schloss von nun an selbst fertigstellen.

Jahre schwanden dahin. Die Bürger der Stadt fragten sich, wann das Schloss fertig sein würde. Der Mann der schönen Worte trat vor das Volk und beruhigte es.
Sie werden ihr Schloss bekommen, so sprach er, nur Geduld. Es wird dauern, aber wenn es fertig ist, wird es das schönste Schloss des ganzen Kontinents sein.
Am nächsten Tag ging der Mensch der schönen Worte zum Architekten mit der Anweisung, ein neues Schloss zu entwerfen, die Erbauung des Jetzigen dauere zu lange. Der Architekt gab zu bedenken, dass die Neuplanung eine Menge Zeit und Geld in Anspruch nehmen würde.
Da wurde der Mensch der schönen Worte wütend. Immer ging es nur ums Geld. Wie konnte man nur so raffgierig sein. Sah der Architekt denn nicht, welches Resultat er mit dem Bau erzielen würde? Die Stadt hätte eine Attraktion mehr, man könne mit ihr Touristen aus aller Herren Länder herbeilocken. Dann käme das Geld, das ja nun nicht wirklich notwendig sei, ganz schnell wieder in die Kassen.
Gut, meinte der Architekt, ich werde sehen, was ich tun kann.
Eine Woche später legte der Architekt das Model des neuen Schlosses vor. Einzig fehlte daran der überdimensionale Turm, der zuvor am alten Schlossmodel als so schön empfunden wurde.
Der Mensch der schönen Worte platzte wütend  mit der Frage heraus, ob der Architekt es ernst mit diesem Model meine. Das wäre doch kein Schloss. Ein Schloss hätte immer einen Turm. Ohne Turm sei es kein Schloss. 
Dieses Model wollte der Mensch der schönen Worte nicht. Er wollte das alte weiter bauen.
Gut, meinte der Architekt, aber meine Arbeitskosten werde ich Ihnen trotzdem berechnen.
Der Mensch der schönen Worte war außer sich vor Wut. Er stampfte mit den Füßen auf und schmiss seine Schuhe an die Wand des Architektenbüros.
Danach trat er vor das wartende Volk und erklärte mit milder Stimme, dass der Bau sich verzögere. Der Architekt wäre nicht in der Lage gewesen, ein Schloss zu entwerfen, dass seinen Ansprüchen genüge. Er aber, der Mensch der schönen Worte, verbürge sich dafür, dass das Schloss in genau einem Jahr fertig sein würde. Dann aber wäre es das tollste Schloss der ganzen Welt.
Das Volk jubelte dem Menschen der schönen Worte zu. Ein Mensch der Tat. Ein Mensch, der hielt, was er dem Volk versprach. Solche Menschen brauchte die Stadt.

Der Mensch der schönen Worte machte sich in der Folgezeit daran, das Schloss weiterzubauen.
Da er allein baute, dauerte es länger als ein Jahr. Doch als der Tag kam, an dem er den letzten Stein setzte, war er unglaublich stolz. Nun gut, das Schloss war etwas schief geraten, die Fenster, die er beim Glaser bestellt hatte, würden nicht ganz in die dafür vorgesehenen Aussparungen passen, aber was machte das schon. Das Schloss stand, der Glaser schlug entsetzt die Hände über dem Kopf zusammen. Wie sollte er die Fenster einsetzen?
Ach, meinte der Mensch der schönen Worte, ein bisschen Bauschaum dazwischen, dann hält das. Hauptsache, das Schloss hat überhaupt Fenster. Das Volk würde das verstehen. Es wusste doch, dass das Schloss einzig vom Menschen mit den schönen Worten errichtet worden war. Das musste genügen.

Er trat erneut vor das Volk und sprach: Seht, was für ein schönes Schloss ich Euch erbaute. Ganz allein, da ich umgeben war von unfähigen und geldgierigen Menschen. Ich brauchte sie nicht. Ich konnte all diese Pracht selbst erschaffen. Es waren meine Hände, die diese grandiose Tat vollbrachten. Eine Tat, wie sie noch nie zuvor gesehen wurde. In ein paar Tagen wird es eröffnet werden, das prächtigste Schloss des ganzen Universums. Nun kommt her und küsst mir die Schuhe.
Das Volk jubelte und küsste seine Schuhe.

Es wurde Nacht, der Himmel verdunkelte sich. Winde kamen auf, Regen fiel. Donner blitzte. Ein Tornado braute sich vor der Stadt zusammen.
Er rollte auf die Stadt zu, wurde größer und schneller, entwickelte eine unheimliche Sogkraft. Er erreichte das gerade errichtete Schloss, dessen Wände ein wenig schief standen. Der Tornado traf den Turm. Und schneller, als es das menschliche Auge erfassen konnte, zerbarst der Turm. Mauersteine flogen wie Blätter durch die Luft, die Dachfliesen zersplitterten zu kleinen gefährlichen Geschossen, die auf die Erde niederprasselten und Menschen trafen, die später klinisch versorgt werden mussten.
Doch nicht nur den Turm zerriss es. Nein, das ganze Schloss wurde in Wirbeln zerfetzt. Kein Stein blieb auf dem anderen. Der Tornado hinterließ einzig einen kleinen Haufen aus Mauersteinen, auf dessen Spitze am nächsten Tag ein Geier gesichtet wurde.

Der Mensch der schönen Worte weinte sehr als er dem Ausmaß der Zerstörung gewahr wurde.
Er trat wieder vor das Volk:
Lieber Bürger, ihr seht, ich habe mich redlich bemüht, aber der Tornado, der Architekt, der Maurer und der Tischler waren gegen mich. Ich habe wirklich alles getan, was in meiner Macht stand. Ich habe geschuftet, allein, weil die Anderen nicht dazu fähig waren. Einzig, um Euch, meine lieben Bürger, ein Schloss zu erbauen, das Menschleben überdauern und das schönste Schloss aller Universen werden sollte. Ich fühle mich betrogen. Vom Tornado, dem Architekten, dem Maurer und dem Tischler. Sie sind schuld. Sie wollen noch immer mein Geld. Schämen sollten sie sich!
Ich werde Euch nun verlassen, denn diese Stadt scheint kein Schloss zu brauchen. Lebt wohl und siecht dahin.
Das Volk verfiel in große, lang andauernde Trauer über den Menschen der schönen Worte, der nur Gutes tun wollte.

Der Mensch der schönen Worte ging und hinterließ ein Traumschloss aus Schutt und Asche.

Freitag, 12. Februar 2016

Im Nebel

"Ich gehe durch den Nebel. Er ist dicht und grau-weiß. Er ängstigt mich nicht, weil er hell ist. Freundlich-einhüllend. Mein Körper fühlt sich leicht an bei jedem Schritt. Als würde ich schweben.
Mein Haar ist weiß, bodenlang und weich, samtig fast. Ich weiß nicht warum, aber ich bin blass, trage ein weißes, mit Rüschen besetztes bodenlanges Kleid, fast wie ein Nachtgewand einer alten Dame. Meine Augen sind meeresblau. Sie leuchten vor Klarheit und glitzern in Tiefe. Vielleicht bin ich eine alte Dame. Eine weise alte Damen mit einem gelebten Leben, voller Höhen und Tiefen. Ich lächele nicht, aber ich bin auch nicht traurig. Es ist eigentlich überhaupt keine Stimmung, die ich spüre. Die pure Leer. Eine schöne Leer, die nicht gefüllt werden muss.
Doch eines verstehe ich nicht. Ich sehe mein Herz, rechts über mir. Es ist aber gar kein Herz, sondern eine Erdbeere. Ein transparenter Faden verläuft von meinem Körper hin zur Erdbeere. Wir sind verbunden, aber nicht zusammen.
Die Frucht ist rot. Nicht so rot wie der Mantel eines Königs, aber auch nicht so blass wie ein Sahnebonbon. Sie ist rot, wie eine Erdbeere im Sommer kurz vor ihrer vollen Entfaltung nun einmal ist. Und sie hat gelbe Kerne, versprenkelt über die ganze Herzform. Die Kerne sind die einzig harten Gebilde an dem sonst saftig anmutenden Herz.
Mein Fruchtherz schwebt mit mir gemeinsam. Wo ich bin, ist mein Herz. Es folgt mir. Jedoch ist es eigenständig, ein wenig eigenständig. Nicht ganz. Ob das Herz wieder ein Herz hat? Wenn ja, wie sieht es aus? Ist es eine Babyerdbeere? Klein und grünlich-gelb?
Mein Herz pulsiert jedoch nicht. Es folgt mir zwar, aber es bewegt sich nicht. Wie eine wirkliche Erdbeere, die ich als Kind vom Strauch im Garten meiner Großeltern erntete.
Bei all der Vormichhinschweberei, bei all der mich und den Raum erfüllenden Leere merke ich, dass ich eines nicht kann... Den Ort außerhalb meines Nebelgebildes entdecken. Es ist mir nicht möglich, eine andere Welt zu sehen, als die, in der ich mich befinde. Ich kann den Nebel nicht durchdringen, denn er gibt mir Sicherheit. Hier fühle ich mich wohl und geborgen. Er kuschelt mich ein. Es ist wie das Lehnen an das weiche, warme Fell eines Tieres. Ich möchte den Nebel nicht verlassen. Ich möchte gern für immer in ihm bleiben. "

"Und was sehen Sie, wenn ich Sie frage, was Sie außerhalb Ihres Nebeltraumes erleben?"

"Dann? Dann sehe ich auf den Boden des Vogelkäfigs, auf meinen leblosen Wellensittich, wie er so daliegt, sich nie mehr flatternd durch die Wohnung beweigen und nie mehr tschilpen wird."

Dienstag, 2. Februar 2016

Das Heidelbeerkompott



Es war einmal ein Mädchen. Es trug langes, braunes, glattes Haar, welches einen pinken Schimmer zeigte, wenn es von der Sonne beschienen wurde. Sie hatte Augen, so groß wie Aprikosen über einem Mund aus einer Farbe eines rosa Erdbeermilchbonbons. Ihr roséfarbenes Kleid wehte leicht im Sommerwind, der sich sanft an den Bäumen des Waldes entlang hauchte.
Das Mädchen, ihr Name war Rosa, lief durch das morgendlich sonnenbeschienene Gehölz des Waldes, der vom Tau der Nacht glänzte. Sie war allein unterwegs. Ihre Mutter, daheim mit ihrem Bruder, bereitete derweil das Frühstück zu. Dicke, leckere Pfannkuchen sollte es geben, überzogen von lila Sirup aus den Blüten der Veilchen, die im Garten wuchsen. 

Rosa wollte Pilze für das Mittagessen sammeln, doch plötzlich sah sie eine leichte weiß-graue Wolke in den Himmel steigen. Sie dachte, der Wald würde brennen und machte sich auf den Weg, zu erkunden, woher die Wolke kam, um gegebenenfalls den Brand zu löschen.
Doch als Rosa näher kam, sah sie, dass der Wald völlig in Frieden vor sich hinlebte, auf dessen Rasen jedoch ein großer Bottich stand, gefüllt mit einer süß duftenden blubbernden Masse. Rosa starrte eine Weile in den Bottich und fragte sich, wer ihn wohl vergessen haben mochte. Da sie ein wenig Hunger verspürte und sie sich die Pfannkuchen der Mama bildlich vor ihren inneren Augen vorstellen konnte, steckte sie den Finger in die Masse, um einmal zu probieren. Sie sagte "Autsch!", denn das blubbernde Lila war sehr sehr heiß.
Es stellte sich heraus, dass es sich um Heidelbeeren handelte, die zu einem Kompott gekocht wurden. Heidelbeerkompott machte sich besonders gut auf frischen Pfannkuchen, fand Rosa und überlegte mit kraus gefalteter Nachdenkerstirn, wie sie den Kessel vom Wald ins Dorf tragen konnte. Ein kleines Behältnis, um sich etwas Kompott abzufüllen, hatte sie nicht dabei. Bloß einen geflochtenen Korb, den ihr die Mama für die Pilze mitgegeben hatte.
Ihr fiel keine andere Idee ein, als den Hufschmied und den Fleischer zu holen. Sie waren starke, kräftige Männer, die den Bottich ganz sicher bewegen  und ihn auf den Marktplatz bringen konnten.

So schnell ihre Beine sie trugen, rannte sie in ihr Dorf. Ihr braun-pinkes Haar schillerte in der hellen Sonne, ihre Bäckchen wurden rosa von der Anstrengung und ihr Kleid flatterte hinter ihr in dem Morgenwind. 
Im Dorf bei Hufschmied und Fleischer angekommen, flogen Schweinebeine hinter die Ladentheke und mit dem letzten Hufeisen wurde schnell der vierte Fuß des Pferdes beschlagen. Dann ließen Hufschmied und Fleischer ihre Arbeit stehen und rannten mit dem Mädchen zurück in den Wald, denn der Gedanke an frisches Heidelbeerkompott auf ihren sonst eher karges Essen gewohnten Zungen, ließ sie sich beeilen.
Im Wald angekommen, hoben die Männer unter Ächzen und Stöhnen den Bottich an, um ihn mit Mühe und Not ins Dorf zu bringen.

Dort wurde der Bottich in der Mitte des großen Marktplatzes aufgestellt, direkt neben dem Steinbrunnen.
Neugierige Blicke wurden auf ihn geworfen und sofort kamen Dorfbewohner herbei und stellten sich um das große Gefäß. Schnell waren der Platz und die Straßen vom süßen, fruchtigen Heidelbeerduft erfüllt. Er stieg den Menschen in die Nase und in ihre Gehirne. Bilder von einem Paradies voller Heidelbeerbrote, Heidelbeerlollies, Heidelbeerzimtschnecken, Heidelbeermarmelade und allerlei mehr Heidelbeerigem entstanden in den Köpfen der hungrigen Meute. Die Köchin eilte mit einer großen Kelle herbei, um die Masse abschöpfen zu können, Kinder steckten mutig ihre dünnen Fingerchen in den heißen Blubberbrei, die Bäckerin hatte Baguettes auf einen Karren geladen, den sie neben Brunnen und Bottich aufstellte. Jeder durfte sich an diesem Tage umsonst von ihrem Brot nehmen. Obwohl erst Samstag war, brachte der Milchbauer die gute, rahmige Butter herbei, die sonst nur an Sonntagen auf den Tisch kam. Jeder sollte das leckere Kompott kosten dürfen und sich ein bisschen wie im Schlaraffenland fühlen können.
Rosa hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Leute herbei zu bitten, damit jeder die frohe Kunde des auf mysteriöse Weise erschienenen Kompotts erfahre.

Es dauerte nicht lange und viele Anwohner hatten von der Leckerei gekostet. Dabei geschah etwas erstaunliches. Der Duft nach süßen Heidelbeeren ließ nicht etwa nach, je leerer der Bottich wurde, sondern er vervielfachte sich. Er wurde ein wenig milder, aber blieb noch immer lieblich süß. Und die Mienen der Menschen wurden auf wundersame Weise heller. Eine zu Sorgen gefaltete Stirn wurde plötzlich glatt, trübe graue Augen bekamen einen perlmuttfarbenen Schimmer, Wangen wurden röter, Lachen ertönte aus den verschiedensten Winkeln des Dorfes, Kinder spielten friedlich in Grüppchen mit ihren Spielzeugen, ganz ohne Streit und die knurrigen Opas nahmen ihre langjährigen Frauen in die Hand, was sie schon lange nicht mehr getan hatten. Die Tiere in ihren Ställen und Heimen hörten auf, nervös zu quieken, miauen, bellen und zu flattern. Sie schienen vom Heidelbeergeruch in eine selige Ruhe gefallen zu sein und schliefen friedlich auf ihren Plätzen. Ein Frieden kehrte im Dorf ein, den es so schon lange nicht mehr gegeben hatte.


Alles hätte so schön sein können, doch plötzlich hörte man das Trappeln von Pferdehufen auf den abgelaufenen grauen Pflastersteinen. Ein eiliges Trappeln, gar nervös schien es zu sein.
Auf den anreitenden Pferden saßen die dickbäuchigen, in Ritterrüstung gekleideten Gesandten des Oberoberbürgermeisters. Ein Herr von späterem Alter, ergraut, sein Blick, wenn er den Dorfbewohnern begegnete, was kaum geschah, war immer hochnäsig. Er stand in dem Ruf, ein Menschenfeind zu sein und den Bewohnern des Dorfes nichts zu gönnen. Sie waren darauf angewiesen, Tauschhandel untereinander zu betreiben, denn sie bekamen nie Geld für die abgelieferten Waren am Schlosse des Oberoberbürgermeisters. Ein Dach über dem Kopf habe den Menschen zu genügen, meinte der Oberoberbürgermeister. Außerdem würde immer etwas Essbares von den eigenen Erzeugnissen abfallen, sodass das Zahlen von Geld für den "Wächter des Dorfes" keine Notwendigkeit darstellte. Er wurde von allen Leuten im Dorf gehasst. Zutiefst gehasst.
Als ein Hauch von Heidelbeerduft nun auch zu ihm drang, lüftete er seine Nase und schnupperte. Es war so ein schnodderiges Schnuppern, einem Menschen gleich, dessen letztes Stündchen geschlagen hatte. Er schickte seine Gesandten ins Dorf mit der Order, die Mischung zu konfiszieren und Kostproben in sein blaßblaues, eisfarbenes Schloss bringen zu lassen. 


Das Heidelbeerkompott war zu dreiviertel der Menge von den Dorfbewohnern aufgegessen worden, doch bevor sich die Gesandten auf den Weg zurück ins Schloss begaben, beschlossen sie, selbst eine Kostprobe zu nehmen. Einer der Gesandten beugte sich so weit über den hohen Bottich, dass er kopfüber hineinfiel und schreiend darin am Boden kleben blieb, denn das Kompott kochte noch immer und auf dem Boden hatte sich ein klebrig-zuckriger Satz gebildet, an dem die Kleidung des Gesandten hängen blieb. Er brühte also mit.
Da er sich aber seit Tagen nicht gewaschen hatte, denn der Regen war lange ausgeblieben und die Frischwasserwannen im Hofe des Schlosses waren nicht mehr genug gefüllt gewesen, begann er, bei der Verbrennung einen moderigen, schimmeligen Geruch zu verbreiten, der sich auf den Rest des Kompotts und auf die beiden umstehenden Gesandten legte.
Sie waren schnell genug gewesen und konnten vor dem Verkochen ihres Kameraden noch schnell etwas Kompott für sich abschöpfen. Sie probierten genüsslich davon und weideten sich an der Süße.
Es dauerte jedoch nicht lange und einer der zwei Kameraden sagte zum anderen, dass er nicht nur schimmelig, sondern auch irgendwie nach fauligem Obst, oder gar gärig rieche. Dieser Kamerad meinte, er könne den Geruch ebenso am Anderen wahrnehmen. Während er es ihm mitteilte, fing sein Bauch an zu grummeln, als würde eine große Blase in ihm entstehen und er gleich platzen, was er auch in diesem Moment tat. Sein Rumpf borst nach allen Seiten, lila-rote Flüssigkeit spritzte aus ihm hervor, auf das graue Gestein des Straßenpflasters. Er wollte noch vor Schmerzen schreien, aber dazu kam er nicht. Er hinterließ eine ziemliche Sauerei.
Der dritte Gesandte, nun allein und verlassen von seinen Kameraden, stand erstarrt vor Schreck auf dem leeren Marktplatz, stinkend und rot anlaufend, als würde auch er gleich platzen. Ehe er es sich versah, merkte er, dass etwas an seinem Bein zu krabbeln begann. Er blickte herunter und fand, oh Schreck, eine Horde Ameisen, grün, braun und schwarz, die an ihm empor krabbelten. Es zwickte und es wurden immer mehr Tiere. Sie begannen zu beißen, sie nagten an ihm und an dem Kompott, das zu einer fiesen süß-gärig-fauligen Mischung geworden war, die bereits begann, grünlich schillernd zu glänzen.

Der Gesandte verfiel in helles, gählendes Schreien und rannte davon, auf den Fluss zu, der das Dorf umgab. Er ward nie wieder gesehen.

Der Oberoberbürgermeister, der einsam auf seinem Schloss auf das genussvoll duftende Kompott wartete, nahm mit der Zeit wahr, dass sich der Geruch verändert hatte, an Schärfe gewann und an Süße verlor. Er sah grünliche Rauchschwaden auf sein Fenster zugleiten, langsam wabernd, unaufhaltsam. Schnell schloss der Wächter des Dorfes die Fenster, zog die Gardinen zu und floh in die Toilette, der einzige Raum im Schloss, der keine Fenster hatte.
Doch der Dampf schaffte sich seinen Weg durch jede noch so kleine Ritze. Er fand den Weg in die Toilette und umspielte mit schwebender Leichtigkeit den Oberoberbürgermeister, der ganz benebelt von den Schwaden wurde. Er verlor die Besinnung und fiel in eine tiefe Ohnmacht, aus der er nicht mehr erwachte. Der Dampf hatte Gase gebildet, die den Herrn sanft entschlummern ließen.

Das Dorf war von seinem fiesen Oberoberbürgermeister befreit und als die Nachricht vom Finanzminister, der sich all die Jahre sehr bedeckt gehalten hatte und einsam in einem angrenzenden Haus nahe des Schlosses lebte, bekannt gegeben wurde, tanzten alle Bewohner vor Freude um den nun leeren Bottich herum. 

Zur Feier des Tages pflückten die Obstbauern Aprikosen, die sie dann im Bottich zu Marmelade verarbeiten wollten, wenn sie ihn gründlich von allen Gesandtschaften gereinigt hatten. 
Den Aprikosen sagte man nach, dass demjenigen, der sie isst, immer die Sonne scheine. So erblickte man also wenige Tage später hunderte kleiner Sonnen über dem Dorf mit dem besten Obst der Welt.
Wer aber hat dereinst den Bottich in den Wald getragen und Kompott zubereitet? Noch heute hört man den Finanzminister des Dorfes hämisch lachen, wenn man ihn danach fragt. Seine Geldspeicher liefen bald über und es wurde Zeit für ihn, das Metall an den Mann oder die Frau zu bringen. Zudem konnte er den Oberoberbürgermeister nicht leiden, dafür aber die schöne Rosa, der er ein Lächeln ins Gesicht zaubern wollte...

Und die Moral von der Geschicht´? Nasche niemals von verbotenen Früchten. Oder so.

Samstag, 31. Januar 2015

Schnee

Leis wie Schnee
der auf Dornen fällt,
so dreht sich nun
die ganze Welt 
dem End' entgegen
bitter - zart,
der Mensch 
auf Untergang beharrt.

Merkt ihr es nicht
was hier geschieht,
dem Vogel singt
kein Morgenlied.
Der Schnee fällt 
und steigt heran,
schlägt sich kräftig 
seinen Bann.

Und die Dornen gehn hernieder,
als wär's gar lustig bunt Gefieder.